Jünger, frischer, frecher: Fünf neue in der Calwer Strasse

Bis ins 19. Jahrhundert hinein die „reiche Vorstadt“, die „Straße der Spezialisten“ Anfang des 20. Jahrhunderts, das „feine Calwer Viertele“ in den 1980er Jahren: für die Calwer Straße wurden schon viele Namen gefunden. Zuletzt blieb „Stuttgarts attraktivste Fußgängerzone“, noch so ein Label aus vergangenen Tagen, als Meile für Nobelboutiquen und Edelitaliener im Gedächtnis hängen.

Doch das ist auch schon ein Weilchen her und mit dem Schicksal der Calwer Passage verknüpft: 1978 nach dem Vorbild der, nun ja, Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II eröffnet, erregte das überdachte Shopping anfangs bundesweit Aufsehen, doch nicht einmal zehn Jahre später ging es beständig bergab. Zu hohe Mieten und zu wenig Besucherströme führten zu Fluktuation und Leerstand. Vorübergehend und mit fast vier Jahren viel länger als gedacht, konnte sich mit dem Fluxus ein wilder Mix aus Läden und Gastronomie etablieren – das ist seit diesem Sommer auch schon wieder Geschichte. Eine Fluxus-Institution aber ist immer noch da. Das umgebaute und Ende Oktober wiedereröffnete Café Holzapfel orientiert sich jetzt eben nicht mehr zur Passage hin, die umgebaut wird, sondern zur anderen Seite: der Calwer Straße, an der sich in diesem Jahr auch sonst einiges verändert hat.

Holzapfel Café – Bar

„Der Austausch mit den anderen ist super“, sagt Nina Holzapfel, die das Café zusammen mit ihrem Bruder Moritz betreibt. Damit meint sie vor allem die Nachbarn Walther Weinhaus und Gardener’s Nosh. „Unser Publikum hat sich kaum verändert“, stellt Holzapfel fest. Bei unserem Besuch an einem Dienstagmorgen sehen wir junge Leute, einige davon mit sicherlich wichtigen, wenn nicht sogar kreativen Projekten am Notebook beschäftigt. Die Räumlichkeiten bieten verschiedenste Sitzmöglichkeiten: vom Zweier- über den Achtertisch bis hin zu Sesseln und Sofas. Von den Schiefertafeln an der Bar können Kleinigkeiten bestellt werden: Panini und belegte Brötchen, Beeren-Bircher-Müsli und Croissants. „Schuster, bleib bei deinem Leisten“, sagt Holzapfel. Sie und ihr Bruder kommen aus der Modebranche und wollen auch keine große Gastronomie mit Küche machen, selbst wenn demnächst noch die zweite Etage bespielt werden sollte.

The Gardener’s Nosh

Ein paar Hausnummern weiter ist es bereits aufwärts gegangen: Das Gardener’s Nosh, das in unserer Zeitung im Frühjahr als sehr gutes Frühstückslokal besprochen wurde, hat im Oktober eine zusätzliche Etage erobert. Pascal Schwer und seine Frau Madeleine Al Sahuri-Schwer haben den orientalischen Touch der Location zwischen tiefgrünen Wänden mit marokkanischen Accessoires ausgebaut und bieten im ersten Stock auf einer Abendkarte glutenfreie Kost an. Schwer spricht von einer „unfassbar hohen Nachfrage“ dieser „frisch gemachten Gerichte ohne Convenience“, die englische Namen haben und in Rubriken wie Salads, Noshes, Mains und Bowls unterteilt sind. Das „Twosome Beet Root & Goat Cheese“ für 12,50 Euro und auch die „Rainbow Buddha Bowl“ für 14,50 Euro haben uns zwar wenige Tage nach der Eröffnung noch nicht richtig überzeugt, was wir aber als ganz normale Anlaufschwierigkeiten abhaken.

Isabella

Komplett glutenfrei ist auch das Isabella, wie schon der Untertitel sagt: „Glutenfreie Patisserie seit 2014“. In Stuttgart allerdings erst seit 2018, denn es handelt sich um ein Familienunternehmen mit mittlerweile fünf Standorten, angefangen in Düsseldorf, weitere sind in Hamburg und Aachen – und seit dem Spätsommer auch in der Calwer Straße. Weil die Gründerin Isabella Krätz an Zöliakie erkrankt ist, muss sie auf Speisen mit dem Klebereiweiß verzichten und hat sich auf glutenfreie Backwaren spezialisiert. Herzhaftes wie Quiches und belegte Bio-Brötchen gibt es ebenso. Und mehr als nur optische Highlights sind süße Sachen wie das Low-carb Aprikose-Mandel-Mohn-Törtchen oder der Himbeer White Chocolate Cheesecake. Probiert und für gut befunden: die Maracuja-Mousse, auf der eine Blaubeere, ein Schokotäfelchen und ein grüner Sponge thronten. Im hell-freundlichen Wohlfühlambiente kann man auch frühstücken. Weil der Raum ein langer Schlauch ist, sitzt man nebeneinander auf der Bank gegenüber der Vitrine und kann dabei einen Blick nach nebenan in den neuen Wohn-Deko-Shop Blosswelt werfen, der kleinen Schwester des Blumenladens Blossfeldt ein paar Häuser weiter.

Lis Café & Bar

Eine Gegenwelt vom Ambiente her ist das Lis am oberen Ende der Calwer Straße: offene Decke, aus der Kabel hängen, abgewetzte Dielen, eine kleine Bar und vier Stufen hoch eine wild zusammengewürfelte Sitzgruppe. Alles sieht seit der Eröffnung im April weiterhin bewusst unfertig bis trashig aus, neben der Bar hängt tatsächlich auch Müllkunst, die den Kopf des Stuttgarter Rössles darstellt. Der Betreiber Nima Nafeei will Lissabon-Feeling importieren und hat im Sommer den portugiesischen Street-Art-Künstler Bordalo II mit der Wandskulptur beauftragt. In der kleinen Location, die laut Nafeei gerne von Start-ups und für Geburtstagsfeiern gemietet wird, ist auch sonst vieles portugiesisch: der Kaffee, das Bier, die Weine und Süßes wie die Pastel de Nata.

Büffel & Bier

Dutzende von Pizzaschaufeln aus Edelstahl an der Decke signalisieren im Büffel & Bier, was aus dem 300 Grad heißen Ofen kommt: Pizza und Flatbread, deren Teig mit obergärigem Pale Ale und Braumeisterhefe gemacht wird und 72 Stunden ruht. Und beides, daher der Name, wird unter anderem mit Büffelmozzarella belegt, so wie es Burrata und luftgetrockneten Schinken von einem Bio-Büffelhof in Brandenburg gibt; dazu verschiedene Bowls, wie man Schüsseln mit allerlei Frischzeug inzwischen halt trendy so nennt. Und das Bier? Das kommt aus der Schönbuch Braumanufaktur. Die probierte Pizza übrigens, als Basisversion für 7,50 Euro, hatte einen schönen, dicken, blasigen Rand und war zur Mitte hin saftig. Volker Göhner, der im Sommer aus dem Nama das Büffel & Bier gemacht hat, ist ein alter Hase hier, denn er betreibt nebenan seit 16 Jahren auch das Weber Grill & Wok. Er sagt: „Durch junge Unternehmer mit viel Herzblut ist der Charme der Calwer Straße wieder am Aufblühen.“ Konkurrenzdruck sehe er keinen. Trotz geringfügiger Überschneidungen nehme niemand dem anderen etwas weg.

Mix mit zwei Dutzend Betrieben

Und es gibt sie ja weiterhin: die volle Vielfalt an der Calwer Straße, in der sich zwischen Branchenriesen wie Habitat und Starbucks zum Beispiel auch noch ein Antiquariat und eine Änderungsschneiderei halten können. Mit zwei Dutzend Betrieben aber ist die Gastronomie im Gegensatz zur kulinarischen Einöde der parallel verlaufenden Königstraße besonders stark vertreten. Allen voran mit den legendären Italienern Da Franco und La Nuova Trattoria da Franco über Orientalisches und Fernöstliches wie Yaz, Kikuya und Thaidat bis hin zum Brauhaus Calwer Eck und dem unverwüstlichen Udo-Snack.

Am spannendsten entwickelt es sich mit jungen, frischen, frechen Konzepten in Richtung Rotebühlplatz, wo mit Stadtbesen und Walther Weinhaus gleich zwei Weinbars sind. Bei Letzterem muss man sagen: Schön, wenn sich auch Twens für „geilen Wein“ begeistern lassen. Allerdings sollte man ihn richtig temperieren – dann macht das Posen mit großen Gläsern auf der hippen Calwer Straße noch mehr Spaß.

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