Warum niemand mehr Äpfel aufliest – droht das Ende des Mosts?

Ein gewohntes Bild auf den Wiesen in Stuttgart und der Region: Die Äpfel unter den Bäumen bleiben oft im Gras liegen und faulen dort vor sich hin. Apfelernte Fehlanzeige. Für Besenbesitzer Andreas Linzenmeyer liegt das vor allem am geringen Apfelpreis. Doch das Erntejahr 2018 ist kein angemessener Maßstab für Schwarzmalereien.

Haufenweise liegen die Äpfel ringförmig unter Bäumen und warten darauf, aufgeklaubt zu werden – wie es im süddeutschen Sprachgebrauch so schön heißt. Dass das noch passiert, ist unwahrscheinlich. Einerseits, weil die Apfelernte in der Regel von Mitte September bis Mitte Oktober andauert und in diesem Jahr dementsprechend schon vorüber ist, andererseits weil Äpfel heute oft überhaupt nicht mehr aufgelesen werden. Diese Beobachtung macht Andreas Linzenmeyer, Inhaber des ersten Stuttgarter Mostbesens in Stuttgart-Heumaden.

Im Gespräch mit dem 59-Jährigen wird klar: Das Geschäft mit Apfelsaft und Most ist wenig profitabel. „Die Apfellese lohnt sich für viele einfach nicht, wenn man nur rund acht Euro für 100 Kilogramm Äpfel bekommt.“ Aufwand und Ertrag stünden hier in keinem Verhältnis. „Dazu kommen noch die Kosten für den Sprit und der Zeitaufwand, um die Äpfel in eine Mosterei zu bringen.“ Wer statt des Geldes lieber den Apfelsaft zu einem günstigeren Preis abnimmt, hat zwar ein gutes Naturprodukt, doch auch diese Variante ist laut Linzenmeyer wenig attraktiv. „Die Leute trinken einfach nicht mehr so viel Apfelsaft und Most wie früher, weil sie heute mehr Auswahl haben“, sagt er.

In Stuttgart ist die Apfelernte besonders mühsam, findet der Besenbetreiber. ,„Die Lage der Apfelbäume ist problematisch. Oft stehen sie am Hang, das macht die Ernte schwierig“, sagt er. Vor allem deshalb, weil für die Ernte keine Traktoren eingesetzt werden könnten und die Äpfel stattdessen dann aufgelesen werden müssten, wenn sie herunterfallen. „Es kann dann schon mal sein, dass man jeden zweiten Tag rumlaufen muss.“ In anderen Gegenden sei das anders. Dort würden Traktoren mit Schüttelvorrichtungen eingesetzt, um die Äpfel vom Baum zu holen. „Bei einem Mal schütteln, fallen da schon mal 100 Kilogramm Äpfel runter“, schätzt Linzenmeyer.

Markus Gaspar aus Hohenstadt (Landkreis Göppingen) gibt Lizenmeyer recht: Auf der Schwäbischen Alb werde noch verhältnismäßig viel Most gemacht, weil private Wiesenbesitzer ihre Äpfel direkt vor der Haustüre beim Familienunternehmen Burkhardt Fruchtsäfte in Laichingen-Machtolsheim (Alb-Donau-Kreis) abgeben könnten. Im Vergleich zu früher zeichne sich aber auch dort ein trauriges Bild: „Viele Leute lassen die Äpfel inzwischen verrecken, früher hätte es das nicht gegeben.“ Laut des 44-Jährigen liegt das vermutlich daran, dass die Menschen die zusätzliche Arbeit scheuen. Alles würde im Supermarkt gekauft, das sei die bequemere Art. Außerdem hätten die Leute heutzutage mehr Geld, was die Entwicklung erst möglich mache.

Gleichzeitig weiß er aber: „Wir hatten dieses Jahr einen außergewöhnlichen Sommer mit vielen Äpfeln.“ Selbst er habe nicht alle Äpfel von den Bäumen geschüttelt. Auch Alexander Mayer vom Uhlbacher Familienunternehmen Mayer Fruchtsäfte, das unter anderem für den Stuttgarter Apfelsaft bekannt ist, merkt an, dass das Jahr 2018 in Sachen Apfelernte ein Ausnahmejahr und das „krasse Gegenteil“ zum letzten Jahr war: „Wir haben letztes Jahr in der Zeit von Ende August bis Ende Oktober so viele Äpfel verarbeitet wie dieses Jahr an einem Tag.“ Dementsprechend sei es nicht besonders verwunderlich, wenn mehr Äpfel liegen blieben, denn der Großteil seiner Kundschaft lasse sich die Äpfel als Lohnware gutschreiben und in Form von Apfelsaft auszahlen.

Seine Vermutung: „Ich denke, die Leute hatten aufgrund der Masse an Äpfeln einfach irgendwann genug Gutscheine zusammen und hatten – ich sag’ es jetzt einfach mal ganz salopp – keinen Bock mehr.“ Stirnrunzeln bereitet Mayer dagegen die Tatsache, dass vor allem die ältere Generation Äpfel erntet – Rentner und Frührentner, viele 60 plus. „Ich sehe es ja an meiner Kundschaft“, sagt er. „Das ist sicherlich längerfristig ein Problem, wenn sich niemand mehr zuständig fühlt, sich nach Äpfeln zu bücken.“ Auch Gaspar beobachtet dies: „Man sieht es den Streuobstwiesen an, wenn sie Menschen gehört haben, die heute nicht mehr leben.“ Umso glücklicher ist Mayer wenn er doch die eine oder andere Familie sieht, in der die Apfelernte auch für die Kinder eine Rolle spielt.

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