Foodsharing-Café hat in Stuttgart eine Bleibe gefunden

Die Raupe Immersatt zieht in die Räume des Heilignüchtern: Das Foodsharing-Café hat damit am Hölderlinplatz im Stuttgarter Westen seine heiß ersehnte neue Bleibe gefunden, dabei waren die Macher Jana Pfeiffer, Simon Kostelecky, Maximilian Kraft, Maike Lambarth, Lisandro Behrens (von links) eigentlich kurz davor, aufzugeben.

Preisgekrönt, karitativ, sozial – und doch ohne Heimat: Die Bilanz, die das Start-Up Raupe Immersatt noch zu Ende vergangenen Jahres gezogen hatte, war mehr als ernüchternd. Anfang des Jahres gab es für ihre Idee eines Foodsharing-Cafés noch den Bürgerpreis der Stuttgarter Bürgerstiftung, ein Crowd­funding brachte 2018 rund 30 000 Euro ein. Damit wollten die fünf Verantwortlichen ein Café – die Raupe Immersatt – eröffnen, in dem es kostenlose Lebensmittel gibt, die sonst in der Mülltonne landen. Bezahlt werden nur Getränke, doch dafür gibt jeder so viel, wie er für richtig hält.

Angesichts der jährlich etwa 18 Millionen Tonnen weggeworfener Lebensmittel nicht nur eine sehr gute, sondern auch eine wichtige Idee. Dennoch fand das Team über zwei Jahre lang nicht den geeigneten Laden – und das, obwohl die Raupe ganz normal Miete gezahlt hätte und in der Stadt ein sehr gutes Ansehen genießt. „An Weihnachten waren wir kurz davor, aufzugeben“, sagt Maximilian Kraft. Damals hatte das Team eine fixe Zusage im Stuttgarter Westen, die ihnen dann von Vermieterseite doch wieder entzogen wurde. „Das war schon das zweite Mal, und niemand von uns wusste, ob es noch genügend Energie für einen dritten Versuch geben würde.“

Die gab es offensichtlich, denn wir treffen Kraft und seine Foodsharing-Mannschaft auf der Baustelle des zukünftigen Raupe Immersatt. Nach dem unerwarteten Aus des Heilignüchtern direkt an der Stadtbahnhaltestelle Hölderlinplatz zieht Anfang Juni Stuttgarts erstes Food­sharing-Café in die verwaisten Räume – ebenfalls nach Umwegen und nagender Ungewissheit zwar, dafür mit einer Traumlage, die durchaus für die Mühsal der letzten Jahre entschädigt. „Dass es letztlich der Westen geworden ist, war Zufall, doch die Lage hier ist perfekt“, so Kraft. „Wir sind jetzt natürlich sehr gespannt, wie die Bewohner und Händler das Konzept annehmen werden.“

An diesem Konzept hat sich seit der Geburt der Idee nichts geändert. In einer Ecke des Raumes wird der sogenannte Fair-Teiler einziehen, der Ort, an dem jedermann Lebensmittel abgeben oder abholen kann. Zehn solcher Stellen gibt es derzeit in Stuttgart, der im Raupe Immersatt wird der stadtweit erste sein, der an eine Foodsharing-Gastronomie angeschlossen ist. Privatleute, Bäcker, Gastronomen, aber auch Firmen können hier jederzeit die Lebensmittel abgeben, die nicht verderblich sind und die sie nicht mehr brauchen. Zudem holt Kraft mit seinem Team kistenweise Essbares aus den Supermärkten. Denn: „Im Gegensatz zu den Tafelläden dürfen wir auch abgelaufene Ware mitnehmen“, erklärt er. Dennoch teilen sie natürlich, was unbedenklich ist und was sie auch selbst verzehren würden. „Alles andere würde unsere Idee torpedieren“, meint Kraft.

Neben dem Foodsharing-Gedanken will man auch Veranstaltungen wie Lesungen oder Vorträge durchführen, denkbar wäre in Zukunft auch ein Mittagstisch oder frischer Kuchen. Zukunftsmusik, versteht sich, denn erst mal muss der Laden fertig werden. Noch fehlt die Theke, es sieht generell recht wild aus und in einer Ecke des Raumes stapeln sich die verschiedensten Stühle. Keiner gleicht dem anderen, ein bewusst zusammengewürfelter Haufen an Antiquitäten und Sperrmüllfunden. Der Sharing-Gedanke hört eben nicht beim Essen auf, nimmt für Kraft aber natürlich den Löwenanteil ein. „Die große Frage ist immer noch dieselbe wie zu den Anfängen von Raupe Immersatt Ende 2016: Wie schaffen wir es, die geretteten Lebensmittel zu verteilen? Da gibt es immer noch große Probleme, weswegen wir immer noch überzeugt davon sind, dass ein Café eine viel größere Reichweite entwickeln kann – gerade hier im Westen.“

Noch finden sich die jungen Foodsharer in der Rolle des Vereins ein. „Wir waren noch nie Arbeitgeber, noch nie Chefs“, so Kraft. Er grinst: „Das ist, sagen wir mal, ein spannendes Thema.“ Seine Raupe Immersatt auch. Denn auch wenn sich die Zusammenarbeit der Foodsharer mit der Lebensmittelüberwachung Stuttgart relativ holprig gestaltet, weil bislang keine Präzedenzfälle geschaffen wurden, interessiert Foodsharing immer mehr Menschen. 2016 beteiligten sich im Großraum vielleicht 800 Menschen am Sammeln und verteilen alter Lebensmittel, mittlerweile sind es rund 1500. Ein Café wie die Raupe Immersatt ist da der nächste wichtige Schritt zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung. Und da hat der Stuttgarter Westen durchaus Optimierungsbedarf.

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