Es wird heiß, es gibt Eis! Die Eis-Handwerker erobern die Stadt

Eine unschuldige Süßspeise ist Eis längst nicht mehr, sondern Lifestyle-Produkt und Instagram-Motiv. Echtes Handwerk und hochwertige Zutaten sind in Stuttgart gefragter denn je, zuletzt eröffneten die Eismanufaktur Claus und die Schleckerei, jetzt in diesem Frühjahr startete Sebastian Kern (Foto oben) mit der Eiswerkstatt in Degerloch.

Sebastian Kern hängt am Telefon: Der Spezial-Eisschrank aus Italien macht Zicken, ein Kältetechniker muss anrücken. Noch läuft nicht alles rund in seiner Eiswerkstatt, die er im April etwas abseits des Degerlocher Stadtkerns eröffnet hat, in den Räumen einer ehemaligen Tapas-Bar mit charmanter Außenterrasse. Das muss es aber auch noch nicht, denn der 30-Jährige hat den Namen Eiswerkstatt bewusst gewählt: „Es soll nicht schnieke sein, nicht perfekt, man soll das Handwerkliche spüren.“

Am Eishandwerk mangelt es in Deutschland nämlich, findet Kern. Die typische Eisdiele biete Pulver-Eis aus dem Katalog, vergleichbar mit Backmischungen. Industriezeug eben. Kern will genau das Gegenteil: ihm reichen Grundstoffe, die er selbst verarbeitet. „Das ist natürlich viel aufwendiger. Man muss die Zutaten selbst aussuchen und die Arbeit selbst machen, die Zitronen auspressen zum Beispiel. Andererseits ist man unabhängiger“, sagt er. Dass Andere für einfache Sorten wie Erdbeereis Aromastoffe verwenden, kann Kern nicht verstehen.

Er selbst weiß, wovon er spricht: für die Handelskette Rewe hat der studierte Agraringenieur zwei Jahre in Italien gearbeitet und die Qualität von Obst und Gemüse überwacht, das für deutsche und österreichische Märkte bestimmt war. Heimweh nach Degerloch und Gespräche mit einem befreundeten Eismacher ließen die Idee reifen, es selbst mit der Produktion von der Pike auf zu versuchen.

In einem Kurs an einer privaten Lebensmittelschule in Brescia eignete er sich das Handwerkszeug an. Bleibenden Eindruck hat die Eismacher-Koryphäe Simone De Feo hinterlassen, einer seiner Lehrer, der die Philosophie des maximalen Geschmacks predigt und die Handwerkskunst in seinem eigenen Laden auf die Spitze treibt, indem er Pistazien selbst röstet und mahlt.

So weit will es der Slow-Food-Anhänger Sebastian Kern nicht treiben. Er spricht von einem Spagat, will die Handwerkskunst pflegen, gleichzeitig aber auch experimentieren. Die Eiswerkstatt soll Traditionalisten (Schoko, Vanille, Erdbeer) ebenso bedienen wie die jene, die für Kreationen wie Erdnussbutter- oder Rhabarbereis offen sind.

Als echte Eishandwerker kann man auch Fabiano Arganese und Joëlle Massen bezeichnen, die die Eisdiele Zur Schleckerei im Stuttgarter Osten mit täglich wechselnden Sorten betreiben. „Es ist unser drittes Jahr, und es läuft viel besser als erwartet“, so der 45-jährige Arganese, der einer Eismacher-Familie entstammt. Den großen Zulauf führt er darauf zurück, dass Kunden wissen wollen, was genau sie eigentlich essen. Diesem Wunsch kommt das Paar nach: „Wir klären Kunden gerne und bei jeder Gelegenheit auf, was sie essen und wie es zubereitet wird“, sagt Arganese.

Viele hätten stereotype Vorstellungen von Geschmäckern, durch die in Eisdielen verbreitete Zubereitung mit Pulvermischungen würden Kunden ein Stück weit veräppelt. Trotzdem: „Jeder hat seine Berechtigung, und wir wollen nicht mit dem Finger auf andere zeigen“, stellt Arganese klar.

Am perfekten Eis sind die beiden jeden Tag dran: an der richtigen Konsistenz, am richtigen Erscheinungsbild, und am Geschmack, der wiederum von der Auswahl der Zutaten abhängt, seien es Pistazien und Walnüsse aus Sizilien, Haselnüsse aus dem Piemont, belgische Schokolade oder Gewürze aus der Markthalle.

Ein Zwei-Mann-Betrieb ist die Eismanufaktur Claus an der Tübinger Straße längst nicht mehr. Der Laden, der auch Stullen, Bowls, Suppen und Eierspeisen im Angebot hat, wirkt mit Betriebsleiter, Angestellten und Speisekarte wie ein gut geölter gastronomischer Betrieb.

Anders könnte die Manufaktur Claus den Ansturm wohl auch nicht bewältigen, den Betriebsleiter Manuel Klimesch zwei Jahre nach der Eröffnung als „weiterhin enorm“ beschreibt. Kunden betrachteten die „Sünde Eis“ zunehmend als veganes Produkt, so der 29-jährige – bei Claus ist ein Drittel der Eissorten vegan. Der einstige Trend, sich bewusster zu ernähren, habe sich bei vielen im Alltag verfestigt.

Sorten wie Peanut Crunch oder Gesalzenes Karamell verschaffen der Manufaktur ein Alleinstellungsmerkmal und liefern in Kombination mit den markanten dunklen Waffeln Instagram-taugliche Fotomotive. Am Ende, so Klimesch, gehe es aber doch nur um gutes Eis. „Wir probieren gerne Dinge aus und gehen Trends nach – aber auf jeden Zug müssen wir auch nicht aufspringen.“

Schreibe einen Kommentar