Meeresfrüchte mit Moderation: Die Hummer-Nummer
Derzeit bestimmt der Fisch die Stuttgarter Innenstadt, der Hamburger Fischmarkt gastiert auf dem Karlsplatz. Aber auch wenn dieser nicht in der Stadt ist, hat Stuttgart auf diesem Gebiet was zu bieten: Ordentliche Fischhändler – und mit dem Frischeparadies einen Laden, der auch Lehrstunden zum Thema anbietet.
Was der Lucki Maurer fürs Fleisch ist der Roland Birr für Meeresfrüchte: So könnte man es locker formulieren. Beide stehen für das neudeutsche Phänomen des „Edutainment“, die Verbindung von education (also Bildung mit Entertainment, sprich Unterhaltung), das in der Gastronomie immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der Starkoch und Wagyu-Züchter Maurer hat erst Ende März wieder auf Einladung der Beef Society in der Stuttgarter Meatery gekocht. Am Tag drauf war der nicht ganz so bekannte Oenologe und Caterer Roland Birr im Frischeparadies in Gaisburg zu Gast.
Für knapp 100 Euro erwartete die Kunden des Feinkost-Abholmarkts eine regelrechte Meeresfrüchte-Orgie. Vor der Bar der Stuttgarter Filiale war ein langer Tisch mit Bänken aufgebaut, ganz in weiß eingedeckt, in der Mitte Gestelle für gewaltige Platten. „Eine hedonistische Tafel“, nennt es Birr, der mit seiner Hummer Nummer seit mehr als 20 Jahren um die halbe Welt tourt.
Häufig sei er, erzählte der Kölner, in Hafenstädten wie etwa dem kanadischen Vancouver oder in Hongkong gebucht, wo er ein Außenbüro hat. Obwohl diese Städte „Meeresfrüchte-affin“ seien, sei die Nachfrage nach diesen Veranstaltungen groß. Wie müssten die kulinarischen Seminare dann erst im schwäbischen Binnenland boomen?
Die Premiere des Events nach dem Umzug in die Ulmer Straße jedenfalls war nach kürzester Zeit ausverkauft. Birr, der eigentlich Önologe und Weinmacher beziehungsweise -händler ist, versprach eine „eher erotische Veranstaltung“ statt eines wissenschaftlichen Vortrags: „Hier knackt und spritzt es gleich gewaltig.“ Auf den Platten türmte sich inzwischen ein wahrer Berg aus kalten, gegarten Meeresfrüchten: Muscheln, Taschenkrebse, Meeresschnecken, Krabben, Garnelenen, Langostinos und halbe Hummer, dazu auf Extratellern Austern – und sonst nichts als Brot, Majonaise, Cocktailsoße. Eine Präsentation „à la francaise“, wie sie laut Birr neben den Franzosen vor allem die Chinesen schätzen.
Da hieß es beherzt zugreifen, denn Messer und Gabel hätten quasi „Alibi-Funktion“, so der Moderator des eiweißreichen Abends, der von einer „großen Sauerei“ sprach. Servietten wurden in der Tat reichlich in Anspruch genommen, und es zeigte sich, dass das Publikum sehr gemischt war. Da saß schräg gegenüber die Kennerin, die routiniert mit der Hummerzange hantierte, während die Männergruppe auf der anderen Seite das Zerlegen der Schalen beherzt als sportliche Herausforderung annahm.
Dazu gab es immer wieder Hilfestellung von Birr wie jene: „Von der Schnecke dürfen Sie alles essen, was Ihnen entgegenkommt, auch wenn es nicht so aussieht.“ Außerdem ging es um die begrifflichen Unterschiede bei den Krebstieren, die auch manchen Gastromomen nicht immer klar sind. So werden Garnelen im Restaurant nach den englischen Bezeichnungen je nach ihrer Größe auch Shrimps oder Prawns genannt oder, am französischen Namen orientiert, Krevetten. Was jedoch als Scampi auf der italienischen Speisekarte steht, sollte immer ein Kaisergranat sein. Der ähnelt vom Aussehen einem Hummer (ist nur kleiner und schlanker) und ist wesentlich teurer als die Garnele. Zu unterscheiden sind sie übrigens an ihrem Schwanz: Der der Garnele ist schmal, der des Kaisergranats (englisch: Lobsterette oder Norway Lobster, französisch: Langoustine, spanisch: Cigala) ist gefächert.
Birrs Weinauswahl zum proteinreichen Mahl war gewagt: Während der würzige Roero Arneis aus dem Piemont mit den Proteinen wunderbar zurande kam, fiel das den molligen Rotweinen aus Südafrika doch eher schwer. Oder lag’s nur am Betrachter? Roland Birr hat auch dafür eine Lösung: „Machen Sie die Augen zu. Ihr Gaumen sieht die Weinfarbe nicht.“