Für den Zauberlehrling sind die Sterne zum Greifen nah

In Stuttgarts Spitzengastronomie blickt man gespannt nach Berlin: Am 26. Februar erscheint die neue Deutschlandausgabe des „Guide Michelin“, dem wichtigsten Gastroführer der Welt. In der Warteschleife für eine Auszeichnung ist auch der Zauberlehrling im Bohnenviertel.

Wenn an diesem Dienstagabend, 26. Februar, auf einer Gala in Berlin die neue Deutschlandausgabe des „Guide Michelin“ vorgestellt wird, hofft und bangt man auch in Stuttgart. Ob es in der Stadt endlich wieder ein Zweisternerestaurant geben wird? Die Zirbelstube unter der Leitung von Denis Feix ist heißester Anwärter dafür. Aber auch eine Stufe tiefer darf spekuliert werden: Acht Stuttgarter Restaurants sind derzeit mit einem Stern ausgezeichnet – und mit dem Zauberlehrling ist eine weitere Adresse in der Warteschleife.

Sehr gut gekocht wurde in der Rosenstraße im Bohnenviertel eigentlich schon immer, aber seitdem Fabian Heldmann vor zweieinhalb Jahren ins Haus zurückgekehrt ist, ist das Niveau noch einmal gestiegen und nun sternewürdig. Auch wenn die Auszeichnung dieses Jahr vielleicht noch nicht kommt: Der Gourmetführer „Gusto“ hat jüngst auf 7,5 Pfannen aufgewertet – besser als manches Sternerestaurant. Sogar der „Gault & Millau“ hat den Zauberlehrling wiederentdeckt und nun 14 Punkte vergeben.

Kein Wunder, denn der inzwischen 31-jährige Heldmann junior war nach seiner Ausbildung im Relais & Châteaux Hotel Villino in Lindau an zwei der besten Adressen Deutschlands: zuletzt als Saucier in der Dreisterneküche von Victor’s Fine Dining by Christian Bau in Perl-Nennig; davor nach einem Zwischenspiel im heimischen Zauberlehrling als Demichef und Chef de Partie in der Überfahrt am Tegernsee.

In der Dreisterneküche unter Christian Jürgens hat er auch Philipp Kortyka kennengelernt, der dort nach seiner Zeit im Restaurant Es Fum auf Mallorca drei Jahre lang Chefpatissier und Souschef war. Seit zwei Jahren nun hat er diese Position im Zauberlehrling inne. Ein eher ungewöhnlicher Schritt zurück von der Weltspitze in eine Küche ohne Stern, den der 26-Jährige so begründet: „Ich möchte das, was ich gelernt habe, auf meine Art und Weise präsentieren.“ Im Zauberlehrling gebe es nicht diesen hohen und bisweilen ungesunden Druck, sondern gehe es schlicht auch darum, Spaß an der Arbeit zu haben. Außerdem gebe es hier weniger „Gäste, die nicht genießen wollen, sondern nur nach Fehlern suchen“.

Inspiration für ihre „weltoffene Küche“ holen sich die beiden Teamleiter jeder für sich auf ihren Reisen. „Wir fusionieren unsere Eindrücke“, so Kortyka, etwa aus Peru oder Thailand. Daheim in Stuttgart würden zwar nicht nur gängige Luxusprodukte verarbeitet, aber: „Das Hauptprodukt muss gut sein“, sagt Heldmann, „man kann aus einem Polo keinen Ferrari machen“.

Die zwei sehen auch wenig Sinn darin, ein Gemüse wie Rote Bete in zehn verschiedenen Varianten anzubieten, etwa als Cracker, Schäumchen, Gel, Pulver und so weiter – das ergebe keinen Mehrwert. „Wir arbeiten lieber mit zwei, drei Komponenten, das ist manchmal ein wenig puristisch, aber auch das, was am meisten flasht“, sagt Kortyka. Genügend Abwechslung ist im Zauberlehrling dennoch geboten, denn es gibt zwei Menüs zum Preis von derzeit 62 bis 120 Euro, aber genauso gut können die Gäste auch ganz unkompliziert nur ein, zwei Gerichte à la carte bestellen.

Senior Axel Heldmann, der 1993 seinen Küchenmeister gemacht hat und mit dem Zauberlehrling gestartet ist, zeigt sich als „Joker“ sichtlich zufrieden, wie sich die Dinge entwickeln – zumal seine Kinder Maxine und Valentin sowie seine Frau Karen ebenso im Haus aktiv sind. Mit „vier Standbeinen“ sei man gut aufgestellt: mit dem ­Hotel und seinen 17 Designzimmern, dem Gourmetrestaurant, der Kochschule und seit knapp einem Jahr mit der Wunder­kammer gegenüber als Frühstücksadresse, Rôtisserie und Eventlocation.

Aber wie sieht man nun der Veröffentlichung des „Guide Michelin“ entgegen? „Er ist der größte und wertvollste Führer“, sagt der Junior Fabian Heldmann. „Jeder, der in unserer Liga kocht, arbeitet darauf hin“, wenngleich „zufriedene Gäste“ und deren „schöne Erinnerungen“ genauso wichtig seien. Vor gut einem Jahr habe sich nach dem Essen ein Inspektor des „Guide Michelin“ zu erkennen gegeben.

Ob seitdem heimlich noch ein zweiter oder dritter da war? Denn wie man weiß: Für eine Auf- oder Abwertung sind mehrere Besuche die Regel. „Wir sind gespannt“, sagen Heldmann und Kortyka unisono. „Wenn der Stern kommt, dann kommt er, und wenn nicht, dann eben noch nicht.“ So oder so: Die vielleicht besten Desserts dürfte man derzeit im Zauberlehrling bekommen, in einer Stadt, die ohnehin „ein guter Ausflugsort für Gourmets“ ist. Aber wie sagt Küchenchef Fabian Heldmann? „Was fehlt, ist ein Zweisternerestaurant.“

Guide Michelin in Deutschland

Der „Guide Michelin“ ist der älteste Gourmetführer in Deutschland. Er erscheint seit 1966, aber in dieser Saison außergewöhnlich spät. Zuletzt waren genau 300 Restaurants mit mindestens einem Stern ausgezeichnet – Rekord. Laut einer alljährlichen Umfrage des Fachmagazins „Sternklasse“ für die Gerolsteiner Restaurant-Bestenliste mit 5000 stimmberechtigten Restaurants ist der Michelin mit 87 von 100 Punkten nach wie vor der wichtigste und kompetenteste Gourmetführer, gefolgt von: „Gusto“ (76), „Gault & Millau“ (73), „Feinschmecker“ (68), „Varta-Führer“ (67), „Aral Schlemmer-Atlas“ (64) und „Der große Restaurant & Hotel Guide“ (59).

Der Gastroführer in Frankreich

Im Mutterland der Haute Cuisine gibt es den „Guide Michelin“ seit 1900. Die Ausgabe 2019, die am 21. Januar erschienen ist, rüttelte die Gourmetszene durcheinander: Zwar wurden 75 neue Restaurants mit mindestens einem Stern dekoriert (insgesamt nun 632), aber gleich sechs Zweisternerestaurants wurden abgewertet. Auch vor den ganz Großen machten die Inspektoren nicht halt: Drei Dreisterne­restaurants wurden degradiert, darunter die legendäre Auberge de l’Ill von Marc Haeberlin, die nach 51 Jahren ununterbrochen an der Weltspitze jetzt nur noch zwei Sterne hat.

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