Der coolste Sommerdrink: Ein Fest für den Negroni
Ein Klassiker für geübte Trinker feiert seinen hundertsten Geburtstag! Lange lebe der Negroni. Der Mix aus Campari, Wermut und Gin ist eine Legende der Barkultur. Aber viele Bartender geben dem Negroni einen eigenen Twist, wie auch in Tintin-, Wolfram- und Piano-Bar zu erleben ist.
Geschichten über die Entstehung von Cocktails gibt es viele. Manchmal sind sie ausgeschmückt oder gar frei erfunden, der Fall Negroni aber ist gut überliefert. Camillo Negroni hieß ein Graf, dessen Leben von Liebschaften, Glücksspiel und Alkohol bestimmt war. In seiner Lieblingsbar, dem Caffè Casoni in Florenz (heute Caffè Giacosa), soll er dem Barkeeper Fosco Scarselli gesagt haben, er möge ihm einen nicht so verwässerten Americano machen, im Original ein Mix aus Campari, Wermut und Soda, garniert mit einer Zitronenzeste. Scarselli schaltete schnell und tauschte Soda mit Gin, nahm statt Zitrone eine Orangenschale – und so ist anno 1919 der Negroni entstanden.
TinTin-Bar: Mit Mezcal und Hibiskusessenz
100 Jahre später ist der Mix von je 3 cl Campari, Wermut und Gin ein Muss in jeder guten Bar und wird in mehr als 100 Varianten zelebriert. Bartender lieben den Negroni, der zu den meistbestellten Klassikern zählt, wie Jonas Hald bestätigt. Er hat im Herbst an der Neuen Weinsteige mit Konstantin Kuld und Benji Blomenhofer die Tintin-Bar eröffnet, die in der Tradition eines Speakeasys steht: Wer reinwill, muss klingeln. Hald sagt: „Der Negroni ist ein Drink, der immer geht.“ Und holla: Drei bis vier davon könne man schon trinken, obwohl der Cocktail einer der stärkeren Sorte ist. Entgegen alten Klischees würden ihn auch Frauen mögen, so wie Hald generell sagt: „Es gibt keine Männer- und Frauengetränke mehr.“
Eine sehr freie, rauchige Negroni-Interpretation in der Tintin-Bar wird mit Mezcal gemacht: 4 cl, dazu 3 cl Quinquina, 2cl Chartreuse Jaune, 5 Spritzer Korianderbitter, kalt rühren auf Eis, 0,5 cl Hibiskusessenz obendrauf und mit einem gedörrten Limettenrad garnieren. Für einen Negroni alter Schule ist Campari fast unverzichtbar, die neue Schule à la Tintin kommt nicht nur ohne den roten Bitter aus, sondern auch ohne Gin, obwohl es sogar einen gefragten hausgemachten Tin Gin gibt. Zur Stärkung zwischendurch werden in der sehr dunklen und puristischen Bar hochwertige „Happen“ angeboten: vom Dreierpack Mini-Asia-Burger mit Schweinebauch, Gurke, Hoisin bis hin zum Steaktatar. Mit einer Kombiaufgabe aus Cocktail und Barfood hat die Tintin-Bar jüngst auch am Black Forest Bar Cup teilgenommen.
Wolfram-Bar: Aus dem Holzfass mit Himbeerbrand
Kai Runge stellt sich ebenso gerne dem Wettbewerb und hat es wieder bis ins deutsche Finale der World Class geschafft; für die Endrunde der Weltmeisterschaft in Glasgow mit je nur einem Landesbesten hat es nicht ganz gereicht. Seit September vergangenen Jahres ist Runge in der Wolfram-Bar im Jaz-in-the-City-Hotel mit seiner – Standortvorteil an lauen Sommerabenden – gigantischen Dachterrasse.
In der Bar tüftelt Runge manchmal wochenlang an neuen Kreationen mit Sous-vide-Verfahren, Essenzen, Ölen, Espuma und Fruchtstaub. 20 davon stehen auf der Karte – sonst nichts. Mehr als tausend Drinks habe er im Kopf, sagt er, „das ist wie Vokabeln lernen“. Ihm gehe es aber weniger um Rezepte, sondern mehr „um das Verstehen des Hintergrunds“. Außerdem: Viele Gäste würden ohnehin frei bestellen: Mach mir mal was Schönes mit . . . oder ohne . . .
Eine Negroni-Variante aber steht auf der Karte, der My Way. Obstbrandfan Runge sagt, „der Negroni verträgt auch starke Partner“. Die drei klassischen Bestandteile halbiert er, gibt dann je 1,5 cl Aperol, Zweigelt, Himbeerbrand dazu und setzt fünf Liter davon in einem kleinen Fass an. „Das Holz macht den Drink komprimierter, intensiver.“ Wie jeder klassische Negroni wird mit einer Orangenschale „abgezestet“, also das Öl der Schale reingespritzt, anschließend gerührt und garniert mit einer gedörrten Orangenscheibe sowie Himbeeren. „Es ist immer schön, wenn neue Aromen ins Glas kommen und der Gast am Ende glücklich nach Hause geht“, sagt Runge.
Piano-Bar: Mit Kaffeenote dank Cold-Drip-Tower
Wie alle hier vorgestellten guten, weil kundenorientierten Bartender liegt es auch André Breitkopf, stellvertretender Leiter der Piano-Bar im Maritim-Hotel, fern, seine Gäste zu belehren. Allerdings versuche er bei Bestellungen von Piña Colada oder Sex on the Beach, sie ein wenig woanders hinzuführen. Alte Regel: „Hören Sie auf Ihren Barkeeper, meistens weiß er, was Sie wollen.“ Das glaubt man Breitkopf gern, der generell viel weiß und seit 14 Jahren im herrlichen Retroambiente der Piano-Bar zu allabendlicher Livemusik immer wieder neue Geschichten erlebt.
Der Negroni ist zwar ein klassischer Pre-Dinner-Cocktail, gehe aber auch gut als Abschluss, sagt Breitkopf und fügt augenzwinkernd hinzu: „Er ist eher schwierig für ungeübte Trinker“, weil er eben wenig Frische, Säure und Süße zu bieten hat. Seine charakterstarke Variante: ein Negroni, für den der Wermut 24 Stunden durch einen Cold-Drip-Tower tröpfelt, manchen bekannt zur Herstellung von Cold Brew Coffee. So bekommt der Cocktail die schöne Ahnung einer Kaffeenote.
Ob nun original oder mit Twist: Unbedingt große Eiswürfel für den Negroni nehmen, etwa fünf mal fünf Zentimeter, damit nicht zu schnell Schmelzwasser entsteht. Sonst ist man halt doch wieder beim Americano mit Soda, aber, Ironie der Geschichte: Es seien gerade auch die amerikanischen Gäste, die gerne einen Negroni bestellen.