Läuft das Craft Beer dem Wein den Rang ab?

Wenn Craft-Beer-Freunde Aromen preisen, erinnert das an den Habitus von Weinkennern. Sind Hopfen und Malz dabei, der Rebe Konkurrenz zu machen?

Eine Gruppe junger Menschen wandert frohgemut über den Trollingersteg am japanischen Garten in Stuttgart vorbei. Leere Gläser in der Hand fachsimpeln sie über Geschmacksnoten, Lagerung und Preise. Es ist keine Weinwanderung, die hier durch den Stuttgarter Osten führt. Es ist eine Bierwanderung. An Himmelfahrt haben die Craft Beer-Spezialisten vom Kraftpaule zu einer Vatertagstour der anderen Art geladen. Statt mit dem Bierfass in den Wald, geht es für die Teilnehmer zu vier Schankstationen, an denen zwischen Pale Ale und Stout besondere Aromen im Vordergrund stehen. Nussige Röstmalze, schokoladige Noten: Das klingt, als sei die Bierkultur auf dem Weg, sich neben dem Wein als Getränk für gehobene Ansprüche zu etablieren.

„Mir fällt es schwer, das Bier ins Verhältnis zum Wein zu setzen.“, schickt Birgit Rieber, Mitbegründerin des Instituts für Bierkultur in Wien voraus. „Ich denke jedenfalls nicht, dass Wein in irgendeiner Form erhabener ist. Er hat eine bessere Reputation, aber das ist keine Frage des Wertes. Es hängt damit zusammen, wie wir mit Wein und Bier umgehen. Billiges Bier wird getrunken. Ein billiger Wein wird als minderwertig angesehen.“

Rieber möchte dem verbreiteten Bier-Klischee entgegentreten. Einerseits vermittelt sie in Kursen das Fachwissen für die Prüfung zum Bier-Sommelier, andererseits schult sie Gastronomen, aber auch Privatleute als Beerkeeper – auch im Kraftpaule. „Es geht es um die Größe klassischer Aromen und Bierstile“, erklärt sie. Das Motto sei die leicht provokante These, dass Bier von der Aromenvielfalt größer sei als Wein.“ Soeben haben 13 Teilnehmer einen Basiskurs an der Neckarstraße absolviert. Die durften sich unter anderem an einem Bier erfreuen, das in einem Whisky-Fass nachgereift war. „Es gibt auch Biere, die in Weinfässern lagern“, merkt Rieber an. Die beiden Getränke vertragen sich durchaus.

„Ich will Berührungsängste in der Gastronomie abbauen“, sagt die Fachfrau. „Sie rühren hauptsächlich daher, dass die Leute zu wenig über Bier wissen. Wir bezeichnen unsere Ausbildung daher auch gerne als ABS-System, als Anti-Blamier-System für Gastronomen. Es ist ja nicht damit getan, ein paar Craft Biere auf die Karte zu setzen. Ich muss auch wissen, was sich geschmacklich dahinter verbirgt.“ Sauerbier sei aktuell zwar ein großes Thema, aber eben auch vergleichsweise extrem. „Wenn ein Gast kommt, der erstmals ein Craft Beer probieren möchte und man stellt ihm ein Sauerbier vor die Nase, ohne zu erklären, was es damit auf sich hat, dann ist er wahrscheinlich für Craft-Beer-Brauer verloren“, so Rieber. „Craft Beer braucht Beratung“, pflichtet Thorsten Schwämmle, Geschäftsführer des Kraftpaule bei. „Sonst kann der Schuss nach hinten losgehen. Es gibt in Stuttgart nur eine Hand voll Gastronomen, die Craft Beer auf der Karte haben. Einige nehmen Craft Biere aus Großbrauereien mit ins Sortiment. Es braucht aber auch jemanden, der die große Welt an Geschmäckern vermittelt, die sich auftut, wenn man sich wirklich auf Craft Biere einlässt.

Einerseits ist Craft Beer als Etikett auf dem Weg in den Mainstream. Andererseits dürfte noch einige Zeit ins Land gehen, ehe sich Bier in der gehobenen Gastronomie als gleichwertige Alternative neben dem Wein etablieren wird. „Man stößt häufig auf Unverständnis, wenn man als Getränkebegleitung ein Bier auswählt“, weiß Birgit Rieber: „Ich glaube nicht, dass Bier der neue Wein wird oder den gleichen Stellenwert erringen kann. Man sollte es aber nicht unterschätzen. Sehr süße Speisen oder solche, die Bitterkeit enthalten, sind oft schwer mit Wein zu begleiten. Ein Stout kann die süßen Aromen gut aufnehmen und ermöglicht eine feine Balance aus süß und bitter“, geht sie ins Detail. „Wenn wir das Thema Craft Beer in Stuttgart groß machen wollen, brauchen wir die Gastronomie“, betont Schwämmle die Wichtigkeit von Riebers Mission. „Wir wollen Gastronomen mit unseren Kursen eine Hilfestellung bieten.“

Für massentauglich hält er die neue Biervielfalt nicht. Die berechtigten Ansprüche an die Qualität gingen mit einer gewissen Preisklasse einher. „Bier ist nicht per se zum Saufen gemacht“, resümiert Birgit Rieber. „Es hat einen Stellenwert, der im Moment noch weitgehend unterschätzt wird und durchaus mit dem Wein mitgehen kann.“ Dabei gehe es nicht darum, dem Rebensaft seine Rolle streitig zu machen. „Ich bin selbst große Weinliebhaberin“, gesteht die Bierfachfrau. „Wenn ich im Ruhestand bin, möchte ich mich auf jeden Fall auch zum Sommelier ausbilden lassen.“

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