Interview mit Christian Rach: „Es ist eine Selbstausbeutung der Wirte“

Christian Rach, der als „Restauranttester“ im Fernsehen bekannt wurde, sieht die Zukunft der Restaurants in Deutschland pessimistisch. Es fehle an unternehmerischem Denken bei  den Wirten – und es herrsche eine unglaubliche Preisangst. Ein Gespräch über Personalmangel, Arbeitszeiten und Mehrwertsteuer.

Hallo Herr Rach, Sie haben Mathematik studiert. Wie gut muss ein Koch rechnen können?

Ein Koch muss so gut rechnen können wie jeder andere Unternehmer auch. Das ist aber auch schon der Knackpunkt: Die meisten Köche schauen nicht über den Kochtopf hinaus. Das Betriebswirtschaftliche ist im Restaurant und in der Kneipe genauso wichtig wie bei Siemens, Mercedes oder in einer Arztpraxis. Dafür braucht man kein Mathematikstudium, aber solide betriebswirtschaftliche Kenntnisse.

Köche sind medial die neuen Popstars, aber immer weniger Menschen wollen am Herd arbeiten. Wie geht das zusammen?

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die mediale Präsenz hat nichts mit der Lebenswirklichkeit in der Gastronomie zu tun. Es gibt viele positive Beispiele im Fernsehen, die keine durchschlagende Wirkung auf die Realität haben. In den vergangenen 15 Jahren wurde viel Schindluder bei der Personalführung betrieben, die man nicht mehr so einfach aus den Köpfen der jungen Leute herausbekommt. Die wollen keine Work-Life-Balance, sondern eine Life-Life-Work-Balance. Das persönliche Leben und nicht das Leben in der Allgemeinheit steht im Vordergrund. Das funktioniert in der Gastronomie eben nicht losgelöst von den gesetzlichen Arbeitszeiten. Die Gesetze sind aber für eine Industriegesellschaft und nicht für eine Dienstleistungsgesellschaft gemacht. Nehmen Sie beispielsweise eine Hochzeit, da wäre dann um 24 Uhr nachts Schluss oder eben Schichtwechsel, wenn alle schon acht Stunden gearbeitet haben.

Das heißt aber auch, dass das der Kunde bezahlen muss .

Genau, das wäre richtig. Aber der Gastronom hat eine Preisangst, die unglaublich tief verwurzelt ist.

Rach in Stuttgart im Königsbau bei der Eröffnung eines Tellys Restaurants. Inzwischen gibt’s dieses in Stuttgart nicht mehr.

Dem Konsumenten ist am Ende aber nicht klar, warum er in der Stuttgarter Innenstadt für eine Weinschorle 4,50 Euro bezahlen muss.

Die Gastronomen sollten eine Beispielrechnung in ihre Speisekarten veröffentlichen. Ein Beispiel: Neulich war meine Spülmaschine kaputt. Auf der Rechnung stand  Wegzeit 54,84 Euro für 40 Minuten Anfahrt, Arbeitszeit Haushalt 95,80 Euro und Fahrzeugnebenkostenpauschale 19 Euro. Der Mitarbeiter war eine halbe Stunde da, die Rechnung betrug am Ende 144,87 Euro ohne Material. Solche Kalkulationen sind gang und gäbe, in der Gastronomie aber überhaupt nicht vorstellbar. Wenn der Betrieb mit Ihrer Weinschorle 15 Mitarbeiter hat, dann hat er allein 20 000 Euro Berufsgenossenschaft im Jahr zu zahlen. Und das erscheint auf keiner Rechnung. Genauso wenig die Miete, Versicherung, Strom und die gerechte Entlohnung. Warum soll der versierte Kellner, der Ihnen erzählen kann, dass es viel mehr gibt als Lemberger, mit 12,50 Euro die Stunde zufrieden geben? Und wie soll er davon in Stuttgart eine Wohnung bezahlen können?

Gibt es eine Faustformel für die Kalkulation in der Gastronomie?

Früher hat man den Einkaufspreis mal drei genommen. Aber welchen Preis nehmen Sie beim Kalbsrücken, bei dem Sie 60 Prozent Abfall haben? Das Nettogewicht mal drei? Das Finanzamt nimmt in seinen Excel-Tabellen aber mindestens das Vierfache an. Wenn Sie einen Wareneinsatz von fünf Euro netto haben, dann müssen Sie das Ding für mindestens 20 Euro verkaufen.

Und da schlucken die meisten Gäste.

Ja, das tun sie. Aber dann soll der Wirt lieber zu machen, als sich diesem Diktat zu unterwerfen. Der Konsument bringt die Wirte und auch die Erzeuger um. Dieses Preisbashing ist eine tödliche Abswärtsspirale. Ich war vor kuzem an der Nordsee. In kaum einem Restaurant gab es eine schöne, frische Scholle, sondern Pangasiusfilet, weil der Urlauber das nicht bezahlt. Die frische Scholle ist im Einkauf natürlich teurer – und deshalb wird auf minderwertige, gefrorene Produkte zurückgegriffen, um den Konsumenten zu befriedigen. Das ist doch ein absoluter Irrsinn. Man macht immer einen Bückling vor dem Gast.

Was muss passieren, damit sich das ändert?

Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern halb eins. Diese Situation lässt sich ad hoc nicht drehen. Wir brauchen mindestens die nächsten zehn Jahre, um das unternehmerische Denken zu ändern. Wir haben ein Überangebot an Gastronomie – jeder möchte zu jeder Tages- und Nachtzeit essen gehen und das für wenig Geld. Wie bitte soll das funktionieren?

Das Münchner Tantris hat eine 4-Tage-Woche eingeführt. Ist das ein Modell der Zukunft?

Unbedingt. Aber in der Berliner Politik muss noch viel passieren. Man darf die Regelarbeitszeit ja eigentlich nicht auf zehn Stunden erhöhen.  Die meisten Kollegen würden am liebsten eine vier Tage Woche einführen. Da muss die Politik mitspielen. So wäre ein Familienleben möglich. Und genau da müssen wir ran.

Christian Rach bei der Nacht der Sterne, dem Treffen der Sterneköche im Mercedes Museum.

Und auch an den Mehrwertsteuersatz?

Das ist ein großes Thema, das in Europa uneinheitlich geregelt ist. In Schweden ist die Merhwertsteuer 25 Prozent, in der Gastronomie 12 Prozent, in Italien 21 Prozent, Gastronomie 10 Prozent, Luxemburg 15 Prozent, Gastronomie 3 Prozent und so weiter. In Deutschland haben wir 19 Prozent Normalsatz, die Gastronomie zahlt 19 Prozent. In der Industrie ist das ein durchlaufender Posten, der nicht weiter schlimm ist. Aber Gastronomen kaufen für 7 Prozent ein, haben also immer eine 12-prozentige Kalkulationshürde, die sie in der Regel nicht einpreisen. Die müssen sie eigentlich schon immer auf das Produkt darauf schlagen. Diesen 12 Prozent rennen sie in ihrer Kalkulation immer hinterher. Es gibt nur zwei, drei Länder, in denen die Umsatzsteuer genauso hoch ist wie die Mehrwertsteuer.

In der Gastronomie in Deutschland arbeiten 2,1 Millionen Menschen. Warum passiert da nichts?

Die Gastronomie hat nach der Metallindustrie die größte Arbeitnehmerschaft, aber es sind alles Einzelkämpfer, die fast alle über die persönlichen Grenzen hinaus gehen. Es ist eine Form der Selbstausbeutung der Wirte. Und das wird sich rächen.

Sehen Sie die gastronomische Zukunft so pessimistisch?

Wir müssen bereit sein für gute Ernährung fair zu bezahlen. Wer ist nicht gegen Massentierhaltung? Gegen das Schreddern der männlichen Küken? Gegen die viele Chemie in der Nahrung? Aber wenige verzichten darauf. Ein fertiges Essen für 2,75 Euro kann nicht funktionieren. Da sind auch schon 19 Prozent Mehrwertsteuer drin, also reden wir von 2,20 Euro, dann teilen Sie das durch vier, dann haben Sie 55 Cent für das Produkt. Was will man da machen? Zu Hause können Sie sich für 5 Euro vernünftig ernähren. Da haben Sie keinen Arbeitslohn, keine Versicherung, keine Berufsgenossenschaften, keine Mitarbeiter und müssen nicht für die Rente vorsorgen.

Wie sieht Ihre Vision für die Gastronomie in Deutschland aus? Was passiert mit all den Burgerläden?

Die Spitze bleibt. Wir haben großartige Restaurants mit tollen Köchinnen und Köchen. Das wird sich rasant weiter entwickeln. Aber der Rest wird aufgrund von Personalmangel die Öffnungszeiten komplett ändern, generell kürzen oder sich überlegen, ob nur mittags oder abends geöffnet zu haben. Man wird keine großen Veranstaltungen mehr generieren können – und wenn, wird man es mit Fertigprodukten machen. Aber das individuelle, kleine Restaurant wird es unglaublich schwer haben mit Qualität und gut ausgebildeten Mitarbeitern zu bestehen. Da wird sich in den nächsten fünf Jahren dramatisch verändern. Es wird eine Zunahme der Franchiseunternehmen geben, die zentral produzieren und nur noch ausliefern. Dasselbe Prinzip haben wir schon bei den Bäckereien. Das Bäckereisterben ist noch dramatischer als das Restaurantsterben. Es gibt keine Bäckerlehrlinge mehr. Welcher junge Mensch will schon um drei Uhr anfangen? Das ist außerhalb der Life-Life-Workbalance.

Zur Person

Christian Rach, geboren am 6. Juni 1957, ist vor allem als „Restauranttester“ aus dem Fernsehen bekannt geworden. Er studierte Philosophie und Mathematik an der Universität Hamburg, die er aber kurz vor dem Examen verließ. Mit seinem Restaurant „Tafelhaus“ in Hamburg hatte er viele Jahre einen Michelin-Stern. Seit sieben Jahren hat er kein Restaurant mehr und keine Nacht davon geträumt. Seine neue Mission ist es, dass man sich für fünf Euro zuhause gut ernähren kann, wenn man weiß, wie es geht. Ab Januar wird er auf healthtv.de darüber informieren.

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