Nach hundert Jahren: Das Ende einer Familienbäckerei
Bernd Mohr schließt mit 75 Jahren seine Bäckerei in der Esslinger Innenstadt. Einst übernahm er das Geschäft von seinem Vater, nun bleibt der Ofen für immer aus. Damit endet die rund 100-jährige Tradition in dem Gebäude.
Beim Blick auf die leeren Sektflaschen, die noch immer auf einem Tablett hinter den Auslagen für Gebäck und Kuchen stehen, die Bernd Mohr die vergangenen Jahrzehnte mit seinen Backwaren gefüllt hat, wird der sonst gesprächige Mann still und seufzt. „Jetzt ist das Leben vorbei“, sagt Bernd Mohr. „Alle waren noch mal da, das war sehr schön.“ Dann dreht er sich ergriffen weg. Vergangenen Freitag hatte Mohr ein letztes Mal den Verkaufsraum seiner Bäckerei geöffnet. Zuvor hat er den großen Ofen in seiner Backstube noch ein letztes Mal angeschmissen, um Knabbereien zu backen. Den Rest bereiteten seine Kinder für ihn vor. Sie luden Stammkunden und Freunde ein, um einen Nachmittag lang mit dem Bäckermeister seinen Ausstand nach 60 Berufsjahren zu feiern.
Bereits Mitte September hatte er seine Bäckerei geschlossen. Hinter ihm liegt ein Arbeitsleben voller Leidenschaft, von dem er sich nur schwer trennen kann. „Man muss ehrlich sein. Wenn es nicht mehr geht, sollte man aufhören. Mein Körper rebelliert. Auch ich spüre das Alter, meine Frau sitzt derzeit im Rollstuhl. Es geht einfach nicht mehr.“ Eigentlich habe er noch bis zum Frühjahr durchhalten wollen, aber ohne seine Frau kann er Backstube und Laden nicht stemmen. Nun geht die Bäckerei-Tradition in dem Gebäude zu Ende.
1969 hatte Mohr das Geschäft zusammen mit seiner Frau Rosemarie von seinem Vater übernommen. Bei ihm war er 1958 in die Lehre gegangen. „Bereits seit den 1920er-Jahren war hier ein Bäcker drin. Mein Vater übernahm das Geschäft in den 30ern. Später dann wir.“ Seine Spezialität sei das Weihnachtsgebäck gewesen, erzählt der Bäckermeister freudig. „35 bis 40 Sorten habe ich in der Saison gebacken. Das ganze Schaufenster war voll.“ Von 1.30 bis 22 Uhr habe er zu den Hochzeiten in der Backstube gestanden.
In den 50 Jahren als Bäcker hat sich viel getan, in Sachen Backwaren, aber auch am Standort in der Küferstraße, berichtet der 75-Jährige. „Früher hat man aufs Wochenende hin fünf Cremetorten gebacken. Das kauft heute keine Mensch mehr. Jetzt sind Obstkuchen gefragt, da haben wir uns anpassen müssen.“ Eine Bäckerei ohne Café wie seine sei heute ohnehin völlig out. „Die Leute wollen sich hinsetzen. Dafür haben wir hier aber keinen Platz.“ Der Verkaufsraum im 70er-Jahre-Look war eine Besonderheit in der Küferstraße und wirkte wie aus der Zeit gefallen. Renovierungen hätten sich einfach nicht mehr gelohnt, sagt der Bäcker, der auch ein bisschen wütend auf die Stadt ist. Die habe die Straße verkommen lassen. „Die Küferstraße stirbt von Jahr zu Jahr mehr aus, während rund um die Bahnhofstraße investiert und gebaut wird, was das Zeug hält. Kein Wunder kommt kaum einer vorbei. Und die Jungen kaufen sowieso alles im Internet.“
Einen Kleinbetrieb würde er heute niemandem mehr empfehlen. Die Schließungen von kleineren Bäckerei-Betrieben ist keine Seltenheit. Nach Angaben der Bäckerinnung Württemberg habe sich die Zahl der backenden Betriebe in Stuttgart von 600 in den 1960er-Jahren auf derzeit 38 reduziert. Es gebe immer mehr Großbetriebe mit mehreren Filialen und zentralen Großbäckereien. Zuletzt hatte die Schließung der Traditionsbäckerei Gehrung in Plieningen mit ihrer über 500-jährigen Tradition für Aufsehen gesorgt.
Mohr ist froh, dass seine Kinder das Geschäft nie hätten übernehmen wollen. „Die sind bei großen Firmen angestellt. Mehr Urlaub, mehr Geld, mehr Freizeit: besser geht es kaum.“ Und auf die Frage, was er nun mit der vielen Zeit mache, antwortet Mohr grinsend: „Ausschlafen und gemütlich frühstücken.“ Die Brötchen dafür kaufe er übrigens lieber abends zuvor. „Frisch aufgetoastet schmecken die auch am nächsten Tag gut.“ Dass sie nicht aus seiner Backstube kommen, schmecke er natürlich schon. „Aber Brötchen oder Kuchen backe ich jetzt nicht mehr.“
Die Maschinen aus seiner Backstube wird übrigens ein Bekannter mit ins Ausland nehmen, erzählt er noch: „So hat da noch jemand was davon.“